Allergien und Autoimmunkrankheiten

Allergien und Autoimmunkrankheiten
Allergien und Autoimmunkrankheiten
 
Das Immunsystem ist so kompliziert, dass sich Teile von ihm manchmal gegen den eigenen Körper wenden. Die Gefahr von Allergien und Autoimmunkrankheiten ist der Preis, den der Organismus für seine Fähigkeit zur Abwehr zahlen muss.
 
 Allergische Reaktionen
 
Bei allergischen Reaktionen reagiert das Immunsystem auf einen Reiz in ungeeigneter oder übermäßiger Weise. Es greift für den Körper an sich harmlose Substanzen an, mit schwerwiegenden Folgen für den betroffenen Organismus. Mindestens zwanzig Prozent der Bevölkerung der westlichen Industrienationen leiden unter allergischen Reaktionen. Die meisten Überempfindlichkeitsreaktionen werden von normalerweise harmlosen Antigenen wie Blütenpollen, Staub, Tierhaaren, Erdbeeren oder Fischproteinen ausgelöst und verursachen dann die uns allen bekannten allergischen Reaktionen wie Heuschnupfen oder Hautausschläge.
 
Vermutlich bildeten sich allergische Reaktionen in der Evolution ursprünglich als Waffe gegen Parasiten aus. Da wir uns heute jedoch kaum noch mit Parasiten auseinander zu setzen haben, sucht sich dieser nun unbeschäftigte Teil unseres Immunsystems möglicherweise ein neues Ziel. Diese Theorie wird durch Befunde gestützt, nach denen Allergien in Industriestaaten wesentlich häufiger anzutreffen sind als in Entwicklungsländern. Das kann jedoch nur als Hinweis und keinesfalls als schlüssiger Beweis gelten. Da die meisten Allergien gegen Naturstoffe gerichtet sind, ist andererseits die Vermutung wohl falsch, die vielen synthetisch hergestellten Stoffe unserer modernen Welt seien möglicherweise an der Zunahme von Allergien schuld.
 
Eine allergische Reaktion gliedert sich in drei Stadien: Während der Sensibilisierung kommt es zum ersten Zusammentreffen mit dem künftigen Allergen. Diese Phase verläuft in der Regel zwar symptomlos, dient aber der Vorbereitung auf eine Reaktion. Von Fresszellen werden den T-Lymphozyten Teile des Allergens präsentiert, was diese zur Stimulierung von B-Lymphozyten anregt. Sie produzieren daraufhin Antikörper, die sich an Mastzellen anheften. In der anschließenden zweiten Phase, der Mastzellenaktivierung, kommt es zu einem neuen Kontakt mit dem Allergen, das sich an die vorbereiteten Antikörper anheftet. Von den Mastzellen werden nun Stoffe ausgeschüttet, die die allergischen Symptome verursachen. In dem dritten Stadium anhaltender Aktivität veranlassen die von den Mastzellen ausgeschütteten Stoffe Immunzellen, aus dem Blut ins Gewebe überzutreten. Dort kommt es wieder zur Ausschüttung von Substanzen, die die Immunreaktion aufrechterhalten und damit letztlich zu Gewebsschädigungen führen können.
 
Auch an der hochdramatischen Form einer allergischen Reaktion, der anaphylaktischen Reaktion, sind Mastzellen in starkem Maße beteiligt. Nach der Anlagerung von Antikörpern schütten sie explosionsartig Histamin und Serotonin aus. Diese Stoffe stimulieren die Kontraktion bestimmter Bereiche der glatten Muskulatur und erhöhen die Durchlässigkeit von Gefäßwänden kleiner Adern. Hierdurch haben die Abwehrzellen aus dem Blut einen besseren Zugang zu den Entzündungsherden. Zieht sich die Bronchialmuskulatur zu stark zusammen, kann es jedoch zur Atemnot kommen, wogegen eine zu starke Erweiterung der Blutgefäße beim anaphylaktischen Schock einen dramatischen Blutdruckabfall bedingen kann: Das Blut »versackt« in der Peripherie. Die Symptome können variieren, treten jedoch in der Regel innerhalb weniger Minuten auf und können im schlimmsten Fall zum Tode führen, wobei die Haupttodesursache das Kreislaufversagen als Folge des starken Blutdruckabfalles ist. Als weitere Symptome können angeschwollene Stimmbänder, Hautausschläge und starker Juckreiz auftreten.
 
 Autoimmunerkrankungen
 
Bei den Autoimmunerkrankungen werden Antikörper gegen körpereigenes Gewebe gebildet. Das Immunsystem vermag hier nicht mehr fehlerfrei zwischen »selbst« und »fremd« zu unterscheiden. Es greift Zellen des eigenen Körpers an und kann damit lebensbedrohende Zustände auslösen. Unter Autoimmunkrankheiten leiden in Europa und Nordamerika immerhin etwa fünf Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Frauen sind mit einem Anteil von zwei Dritteln wesentlich häufiger betroffen. Warum Autoimmunkrankheiten entstehen können, ist bis heute noch weitgehend unbekannt. Es existiert lediglich eine Theorie, nach der diese Leiden von Erregern ausgelöst werden könnten, die fähig sind, ihre Proteinmoleküle denen des Wirtsorganismus nachzubauen. Attackiert das Immunsystem nun diese Erreger, »lernt« es im Laufe dieser Abwehrreaktion fälschlicherweise, auch ähnliche körpereigene Komponenten als schädlich anzusehen und daher anzugreifen.
 
Bei einer bestimmten Form der Zuckerkrankheit, die überwiegend bei Jugendlichen auftritt, werden die insulinproduzierenden Inselzellen der Bauchspeicheldrüse als körperfremd angesehen und abgebaut. Weitere Beispiele bekannter Autoimmunerkrankungen sind die multiple Sklerose und der Formenkreis der rheumatischen Krankheiten. Bei solchen Erkrankungen gelangen T-Lymphozyten, die nicht zwischen »selbst« und »fremd« richtig unterscheiden können und daher eigentlich im Thymus ausgesondert werden sollten, in den Körper und greifen nun das Gewebe der jeweils von dem Krankheitsschub betroffenen Organe an.
 
Allergien und Autoimmunerkrankungen können mit Glucocorticoiden behandelt werden. Diese Hormone der Nebennierenrinde, besonders das Cortisol, heilen nicht die Krankheit, sondern unterdrücken die Entzündung, was die Betroffenen oft als große Erleichterung erleben. Eine Gabe von Glucocorticoiden hemmt jedoch auch die Produktion von Antikörpern ganz allgemein und vermindert so die immunologische Abwehrbereitschaft. Daher bedarf eine Behandlung mit Glucocorticoiden einer ständigen ärztlichen Kontrolle. Autoimmunerkrankungen lassen sich auch durch Botenstoffe des Immunsystems behandeln, welche die Abwehrreaktionen drosseln können, oder mithilfe molekularer Köder, die den Angriff von Immunzellen umlenken können. Weiterhin kann man Antikörper einsetzen, die in der Lage sind, stimulierende Botenstoffe des Immunsystems zu blockieren.
 
Prof. Dr. Carsten Niemitz
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Immunsystem: Intelligenter Widerstand
 
 
Asthma und Allergie, herausgegeben von Franz Petermann. Göttingen u. a. 21997.
 Davies, Robert und Ollier, Susan: Allergien. Ursachen, Diagnose, Behandlung. Aus dem Englischen. Heidelberg 1991.
 Herbst, Matthias: Haut, Allergie und Umwelt. Berlin u. a. 1998.
 Maushagen-Schnaas, Ellen und Waldmann, Werner: Allergien. Ursachen, Vorbeugung, Behandlung. Stuttgart 1996.

Universal-Lexikon. 2012.

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